Dr. Helmut Lohrer ist Allgemeinarzt und lebt im Schwarzwald. Seit 1986 ist er engagiertes Mitglied der IPPNW, aktiv sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene. Helmut Lohrer steht hinter „Zielscheibe Mensch“, dem Kongress zu den gesundheitlichen und sozialen Folgen des globalen Kleinwaffenhandels, der diesen Mai in Villingen-Schwenningen stattfindet.
Vital Sign: Die IPPNW-Kampagne „Aiming for Prevention“, bei der es um das Problem der Kleinwaffen geht, hatte ihren Schwerpunkt bislang in IPPNW-Sektionen der Entwicklungsländern. Warum dachten Sie, dass es wichtig sei, einen internationalen Kongress zur Gewalt durch Kleinwaffen in Europa, genauer gesagt in Deutschland abzuhalten?
Helmut Lohrer: Als Mediziner haben wir gelernt, nicht nur Symptome zu behandeln, sondern uns auch mit den Ursachen einer Krankheit zu beschäftigen.
Gewalt durch Kleinwaffen findet in Europa zwar in einem deutlich geringeren Maß statt als zum Beispiel in einigen Regionen Afrikas. Aber viele dieser Waffen werden hier produziert und von hier aus exportiert. Wenn wir etwas gegen Gewalt durch Kleinwaffen tun wollen, müssen wir die Frage mit einbeziehen, woher diese Waffen kommen, wohin sie gehen und weshalb. Wir wollen unseren Beitrag zu diesem Kernprogramm der IPPNW leisten, indem wir einen Kongress über die Auswirkungen der Kleinwaffenindustrie abhalten.
Vital Sign: Warum findet der Kongress im Schwarzwald statt und nicht in einer der großen Städte, wie etwa Berlin?
Helmut Lohrer: Der größte Produzent von Kleinwaffen in Europa ist ein mittelgroßes Unternehmen in der hübschen kleinen Stadt Oberndorf im Schwarzwald. Heckler&Koch-Waffen kommen in beinahe jedem Konflikt auf der Welt zum Einsatz. Es besteht zwar kein Zweifel, dass die politischen Entscheidungen zum weltweiten Export von Heckler&Koch Waffen in Berlin gefällt werden. Aber wenn sich internationale Experten und Aktivisten vor der Haustür der Waffenfabrik versammeln, werden wir damit eine größere Wirkung erzielen als in Berlin, wo man die Aufmerksamkeit der Medien mit anderen, parallel stattfindenden Veranstaltungen teilen muss.
Durch solch ein Ereignis, das hier im Schwarzwald stattfindet, wird die ganze Region in die Debatte über die Auswirkungen von Kleinwaffen einbezogen. Um zu verstehen, welchen Einfluss dieser Kongress haben kann, muss man auch wissen, dass Heckler&Koch nur Teil einer großen Waffenindustrie in dieser schönen Gegend ist.
Vital Sign: Während des Kongresses organisiert die IPPNW Deutschland auch einen Besuch im Hauptquartier der Firma Heckler&Koch. Was erhoffen Sie sich davon?
Helmut Lohrer: Wir planen eine sehr friedliche und kreative Form des Protestes. Es geht uns nicht darum, diejenigen einzuschüchtern, die in der Fabrik arbeiten. Aber warum nicht dort ein Lied für den Frieden singen, von wo Krieg ausgeht?
Vital Sign: Wir haben gehört, dass Sie der Bürgermeister von Villingen-Schwenningen sehr stark unterstützt. Das ist überraschend, wenn die Waffenproduktion für die lokale Wirtschaft so wichtig ist.
Helmut Lohrer: Der Bürgermeister von Villingen-Schwenningen, einer mittelalterlichen Stadt nicht weit von Oberndorf, ist seit Jahren ein Mitglied der „Bürgermeister für den Frieden“. Er trug unser Anliegen dem Stadtrat vor und konnte ihn - nach intensiver Diskussion - überzeugen, dass die Stadt als Mitveranstalter bei unserem Kongress auftritt und uns die Stadthalle kostenfrei überlässt. Auch wenn die Firma Heckler&Koch ihre Steuern nicht in Villingen-Schwenningen zahlt, ist dies in der Tat bemerkenswert.
Vital Sign: Sie arbeiten seit über einem Vierteljahrhundert ehrenamtlich für die IPPNW. Was hat Sie in all diesen Jahren motiviert?
Helmut Lohrer: Die stetige Hoffnung, dass die Menschheit letztendlich fähig sein wird, Krieg und Gewalt zu überwinden – ob es sich dabei um einen Atomkrieg mit der Aussicht auf unsere totale Vernichtung handelt oder um das zunehmende Blutbad, das von dieser Kleinwaffen-Plage verursacht wird. Ich wünschte, meine Kinder könnten in einer Welt leben, die nicht von Geld und militärischer Überlegenheit regiert wird, sondern wo gegenseitiger Respekt für die Vielfalt der Menschheit zum Frieden führt.
Das Interview erschien in Vital Signs, Newsletter of the International Physicians for the Prevention of Nuclear War, Volume 24, Issue 2, 2013
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